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Montag, 16 Juli 2018

Kolumne: Wann sich Eltern von erwachsenen Kindern abgrenzen sollten

Wenn erwachsene Kinder ihre Eltern kontrollieren und beherrschen wollen, ist es an der Zeit, klare Grenzen zu kommunizieren

Frage :

Ich schreibe Ihnen, weil wir in einer sehr schwierigen Situation sind. Mein Freund und ich wollen nach mittlerweile zwei Jahren Beziehung zusammenziehen. Gemeinsam mit meinen Kindern fühlen wir uns als glückliche Patchworkfamilie. Das Verhältnis zu meinen Kindern ist gut, und wir haben alle einen sehr guten Draht zueinander. Unser Problem ist die fast erwachsene Tochter meines Freundes. Wir wissen nicht, wie wir mit ihr umgehen sollen. Mein Freund hat jetzt schon Schlafprobleme und leidet auch sonst körperlich unter dieser belastenden Vater-Tochter-Beziehung.

Die Ursprünge dieser schwierigen Beziehung reichen etwas weiter zurück. Seine Tochter war seit dem Kindergarten ein Mobbingopfer. Grundsätzlich ist sie überdurchschnittlich intelligent mit besten Noten in der Schule. Sie verfolgt ihre Ziele um jeden Preis und kann sehr hart und gefühllos sein. Als sie zwölf Jahre alt war, wurde das Jugendamt auf sie aufmerksam, und es wäre beinahe zur Kindesabnahme gekommen, da sie erzählt hat, dass ihr Vater sie zu Hause schlägt. Kurz danach wurde er allerdings von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Beziehung der Eltern ging in die Brüche. Die Mutter zog mit der Tochter in eine Wohnung, mein Freund blieb in seiner eigenen.

Distanziertes Verhältnis

Das Verhältnis zwischen der Mutter und der Tochter wurde nicht besser. Es kam zum Kindesentzug, und die Tochter lebte bis zu ihrem 18. Geburtstag in einer Kinderhilfseinrichtung, mittlerweile wieder bei ihrer Mutter. Sie steht nun kurz vor dem Schulabschluss. Beide Elternteile haben psychologische Unterstützung.

Die Tochter und ihre Mutter haben vier Pferde auf einem nahe gelegenen Bauernhof, die mein Freund zum größten Teil finanziert. Pferde bereiten seiner Tochter Freude, der Umgang mit ihnen ist liebevoll und fürsorglich. Doch zeigt sich in den letzten Monaten, dass hier kein großes Interesse mehr seitens der Tochter besteht. Sie kümmert sich nur noch wenig um die Tiere.

Ich selbst versuche mit der Tochter so neutral wie möglich zu sein. Ich lade sie zu gemeinsamen Essen und auch Ausflügen ein. Sie scheint mich akzeptiert zu haben, wir haben keine Konflikte, sind uns allerdings auch nicht besonders nahe.

Beziehung als Tauschgeschäft

Mein Freund liebt seine Tochter, wie sie ist, oft zu sehr nach Aufmerksamkeit strebend. Oft nehme ich sie immer noch als kleines, trauriges und frustriertes Mädchen wahr.

Andererseits stellt sie auch hohe Forderungen an ihren Vater. Er bezahlt den Unterhalt der Pferde, sie bekommt monatlich Geld von ihm. Sie will jetzt, dass die Pferde übersiedelt werden und er dafür aufkommt. Sie droht ihm mit Konsequenzen, wenn sie etwas nicht bekommen sollte. Sie liest seine persönlichen Nachrichten auf seinem Tablet. Sie geht in seiner Wohnung ein und aus, wie es ihr gefällt.

Mein Freund sagt, dass er immer mit Geschenken versucht hat, die Situation zu beruhigen. Dass es in der Beziehung zur Mutter seiner Tochter immer wieder Widersprüchlichkeiten gab.

Was ich mir wünsche, sind zwei Dinge: einerseits, dass Vater und Tochter zu einer Beziehung zueinander finden, in der sich beide wohlfühlen; und einen Rat, wie und ob ich meiner Familie (also meinen Kindern) von all diesen Turbulenzen und schwierigen Herausforderungen erzählen soll.

Antwort

Danke für die offene Beschreibung Ihrer Situation! Entscheidend für die Zukunft und die Beziehungen aller Beteiligten ist jetzt, dass Ihr Freund seiner Tochter klare persönliche Grenzen kommuniziert. Vielleicht kann ihm dabei ein erfahrener Familientherapeut behilflich sein.

Die Grundaussage seiner Grenzen sollte in etwa so lauten: "Als du gemobbt wurdest, tat mir das so weh, dass ich alles tun wollte, um dich glücklich zu sehen. Das versuche ich immer noch. Meine Strategie war es, alles zu kaufen, was möglich war. Jetzt muss ich mitansehen, dass es mir nicht gelungen ist. Es ist für dich nicht besser geworden, und unsere Beziehung ist völlig aus dem Gleichgewicht. Das heißt nun, dass wir unsere Beziehung wiederherstellen müssen. So, wie wir jetzt miteinander umgehen, kannst du nicht mit uns leben, wenn ich mit meiner neuen Frau und ihren Kindern zusammenziehe. Sobald in unserer Beziehung mehr Ausgeglichenheit und von uns beiden Verantwortlichkeit vorhanden ist, wird es aber möglich sein. Ich habe viel geopfert, damit du deine Pferde haben konntest, aber jetzt sehe ich, dass du dich nicht mehr darum kümmerst. Ich möchte das nicht weiter finanzieren, solange du dich hier nicht wieder engagierst."

Wenn Ihr Freund weitere Beispiele hat, die für ihn wichtig sind, weil er damit weit über seine Grenzen hinaus agiert hat, kann er diese miterwähnen.

Keine Familiengeheimnisse

Ich weiß, dass dies für Ihren Freund wahrscheinlich völlig unmöglich klingt, aber die Alternative ist, dass seine Tochter immer noch sein Leben beherrscht und kontrolliert, was ihn verletzt und es ihm unmöglich macht, ein guter Partner für Sie zu sein.

Ihr Freund schuldet niemandem sein Leben, weder seiner Tochter noch seiner Ex-Frau. Seiner Tochter hat Ihrer Beschreibung und meiner Einschätzung nach die Fähigkeit zur Empathie gefehlt, und sie wurde deshalb gemobbt. Seitdem hat sie ihre große analytische Intelligenz genutzt, um die Schwäche anderer zu nutzen oder gar auszunutzen.

Was das Zusammenziehen betrifft, so kann Ihre neue Familie nicht mit diesem Geheimnis leben. Die ganze Geschichte muss erzählt werden.

Ich weiß, dass das jetzt alles sehr schwierig klingt. Es wird auch schwierig, wenn sich Ihr Freund dazu entschließt, meinen Vorschlag umzusetzen. Dennoch besteht die Chance für einen echten Neubeginn in der Vater-Tochter-Beziehung, wenn die Karten ehrlich auf den Tisch gelegt werden. Ansonsten wird die Liebe zueinander als Tauschgeschäft empfunden, was sich für beide Seiten als destruktiv erweisen wird. (Jesper Juul, 24.6.2018)

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