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Donnerstag, 19 Juli 2018

Kolumne: Wie die allzu gute Mutter den Sohn zur Weißglut treibt

Eltern, die alles richtig machen wollen und ihre eigenen Grenzen nicht verteidigen, können dadurch ihre Kinder unter Druck setzen. Die reagieren oft frustriert und wütend

Frage:

Seit der Trennung von meinem Mann vor zehn Jahren bin ich alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Mein Sohn ist 14, meine Tochter 18 Jahre alt. Mit dem Vater der Kinder hat sich die Situation die letzten Jahre verbessert, und wir kommen gut miteinander aus.

Der Grund, warum ich Ihnen schreibe, ist das Verhalten meines Sohnes und unsere Beziehung zueinander. Er nutzt mittlerweile jede noch so kleine Gelegenheit, um mich für die Trennung von meinem Mann verantwortlich zu machen. Ich verstehe das nicht, denn bis er zehn Jahre alt war, war unser Verhältnis völlig in Ordnung.

Aber seit einiger Zeit werde ich nur noch von ihm beschimpft, sehe ihn kaum, weil er seine Zeit in seinem Zimmer verbringt, mit seiner Playstation spielt und sogar seine Mahlzeiten dort einnimmt. Außerdem spricht er ständig davon, dass er bald zu seinem Vater, der wieder verheiratet ist, ziehen wird. Dort hat er es seinen Aussagen zufolge viel besser.

Ich mag die neue Frau meines Mannes, und ich kann auch dem Gedanken, dass mein Sohn zu seinem Vater zieht, etwas abgewinnen. Wobei sein Vater ihm seit Jahren verspricht, dass er ihn aufnimmt, aber erst, sobald er ausreichend Ressourcen und die notwendige finanzielle Sicherheit dafür aufbringen kann.

Was ich nicht aushalte, sind die Beschimpfungen meines Sohnes und die Atmosphäre zu Hause. Ich habe wirklich alles versucht, sage meinem Sohn, dass ich ihn liebe, auch wenn er so gemein zu mir ist. Ich sage ihm auch, dass es für mich okay ist, wenn er auszieht, ihn aber vermissen werde.

Ich habe immer versucht, eine bessere Mutter als meine eigene zu sein. Ich hatte bei meiner Mutter immer das Gefühl, dass sie mich nicht wahrnimmt und unterschätzt. All die Jahre habe ich versucht, meinem Sohn das Gefühl von Wertschätzung, Liebe und Anerkennung zu vermitteln.

Ich möchte vermeiden, dass mein Sohn mich nur liebt und zu mir kommt, weil er sich dazu verpflichtet fühlt. Es ist mir auch klar, dass er jetzt in der Pubertät ist, trotzdem habe ich Angst, dass er sich selbst verliert und unsere Beziehung für immer zerstört wird. Was kann ich tun, damit die derzeitige Situation nicht völlig aus dem Ruder läuft?

Antwort:

Das, was ich aus Ihren Zeilen herauslesen kann, sind zwei Hälften einer Mutter: Die eine Seite ist sehr angespannt, der andere Teil beinahe überirdisch bemüht, eine gute Mutter zu sein. Meiner Erfahrung nach ist genau das einer der Gründe, warum Ihre Situation zu Hause so ist, wie sie ist. Sie sind einfach zu großartig, haben für alles Verständnis, sind rücksichtsvoll und grenzenlos – zumindest was Ihre eigenen Grenzen betrifft.

Paradoxerweise provoziert diese Einstellung und Haltung ganz besonders heranwachsende Kinder und Jugendliche. Sie gibt ihnen nämlich jeden Tag das Gefühl, dass sie niemals an dieses Ideal heranreichen werden. Das erzeugt ein Gefühl der Schuld. Ihr Sohn übersetzt dieses Gefühl in Frustration und Wut.

Natürlich spielen auch die unerfüllten Versprechen seitens des Vaters eine wesentliche Rolle. Es ist an der Zeit, dass Sie sich selbst erlauben, ein lebendiger Mensch zu sein und Ihre Gefühle zu zeigen. Setzen Sie Ihre persönlichen Grenzen zu Hause, und machen Sie Ihrem Sohn klar, wer der Chef in Ihren vier Wänden ist.

Was Ihr Sohn anders macht oder gar nicht macht, ist nicht so wichtig. Das Wichtigste ist, dass er Sie als reale Person wahrnimmt und nicht mehr als die Rolle, die Sie seit vielen Jahren einnehmen. Es ist nicht einfach, sich so zu öffnen, aber es wird eine große Erleichterung für alle Beteiligten sein, sowohl für Sie als auch für Ihren Sohn und seinen Vater. (Jesper Juul, 11.9.2016)

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