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Donnerstag, 19 Juli 2018

Kolumne: Warum es wichtig ist, Kindern Verantwortung zu übergeben

Wenn Kinder und Jugendliche nichts zur Familiengemeinschaft beitragen können oder dürfen, verlieren sie Selbstachtung und können kein gesundes Selbstgefühl entwickeln

Frage:

Wir sind eine Familie mit drei Söhnen im Alter von acht, zwölf und fünfzehn Jahren. Ich denke, dass uns vieles sehr gut gelingt. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass unsere Kinder oft nur das tun, wonach ihnen ist, und dass sie sehr wenig zur Gemeinschaft beitragen. Mir wird immer mehr bewusst, dass wir uns als Eltern eigentlich für alles verantwortlich fühlen. Das gilt für das Funktionieren des Haushalts genauso wie für die Frage, wie wir in der Früh pünktlich aus dem Haus kommen.

Wir möchten in diesem Punkt etwas verändern, wissen aber nicht genau, wie wir das machen können. Wie können wir unseren Kindern klarmachen, dass sie einerseits für sich selbst verantwortlich sind, aber auch ihren Beitrag zu unseren Familiengesellschaft leisten sollen?

Antwort:

Sie sprechen zwei völlig unterschiedliche Arten von Verantwortung an, deshalb werde ich Ihnen zwei Antworten geben. Nehmen wir als Beispiel das Ausräumen des Geschirrspülers. Ihre Kinder werden ihn vermutlich nicht nach der ersten Bitte ausräumen. Dann können Sie nachhaken, etwa so: "Ich erwarte von dir, dass du nicht vergisst, den Geschirrspüler auszuräumen, und ich möchte wissen, wann du vorhast, das zu tun."

Wenn Sie als Antwort ein "Ich weiß es nicht" bekommen, können Sie darauf reagieren, indem Sie sagen: "Das ist für mich nicht okay. Ich möchte wissen, wann du das tust, und es sollte nicht länger als …. dauern." In diesem von mir geschilderten Fall geht es um soziale Verantwortung: eine Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber und den Menschen, die sich darauf verlassen, dass der Einzelne diese Verantwortung wahrnimmt.

Sollten Ihre Kinder im beschriebenen Fall den Geschirrspüler nicht ausräumen, müssen Sie geduldig bleiben und warten. Sie müssen auch dann noch warten, wenn Sie irgendwann keine Teller und Gläser mehr haben. Es hat keinen Sinn, Ihre Bitte zu wiederholen, auch wenn es hart für Sie ist. Dabei ist es absolut verboten, dass Sie den Geschirrspüler selbst ausräumen!

Kommen wir zur Frage, wie Sie am Morgen pünktlich aus dem Haus kommen. Auch hier lege ich Ihnen nahe, die Verantwortung wieder an die Kinder zu übertragen. Es mag vielleicht ein paar Wochen dauern, aber danach können Sie mit 98-prozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass es funktioniert und dass Ihre Kinder die Verantwortung übernehmen.

Voraussetzung Eigenverantwortung

Die Verantwortung für die Gemeinschaft ist eng verknüpft mit der Eigenverantwortung. Das ist jene Verantwortung, die Vorbilder braucht, nämlich uns Erwachsene. Um sich sozial verantwortlich für das Gelingen einer Gemeinschaft zu fühlen, brauchen Menschen zunächst das Gefühl, für sich selbst verantwortlich zu sein.

Allgemein formuliert sind also folgende Prinzipien wichtig: Eltern müssen damit beginnen, die volle Verantwortung für die Kultur in ihrer Familie übernehmen. Sie dürfen aber nicht davon ausgehen, dass das, was sie denken oder fühlen, von den Kindern ohne Worte verstanden wird. Sie müssen den Beitrag zur Familienkultur, den sie von den Kindern erwarten, klar und deutlich formulieren und sollten die Kinder nicht tadeln, wenn dabei Konflikte oder Unstimmigkeiten auftreten.

Kinder gedeihen und entwickeln sich dann am besten, wenn sie kontinuierlich Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein zwölfjähriges Kind Lebensmittel einkaufen, eine Mahlzeit zubereiten, für seine eigene Kleidung sorgen und den Schulweg alleine bewältigen kann. Natürlich können die Eltern assistieren, die Verantwortung liegt jedoch beim Kind.

Bereits im Alter zwischen eins und fünf Jahren haben Kinder Spaß daran, etwas zur Gemeinschaft beizutragen. Mit der Zeit wird aus dem reinen Vergnügen eher eine Notwendigkeit. Die an Kinder übertragenen Aufgaben sollten sich für sie als notwendig für die Gemeinschaft erweisen.

Paradoxerweise beginnt das Gemeinschaftsgefühl, wie ich oben schon angedeutet habe, mit der Verantwortung der Eltern für sich selbst. Also damit, dass diese sich für ihre eigenen Fehler, Grenzen, Werte und Gefühle verantwortlich fühlen. Menschen, die keine Verantwortung für sich selbst übernehmen, sind eine Bürde für jede Gemeinschaft – unabhängig davon, ob es sich dabei um Erwachsene oder Kinder handelt.

Wenn Kinder und Jugendliche nichts zur Familiengemeinschaft beitragen können, verlieren sie ihre Selbstachtung und haben Schwierigkeiten damit, ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln. Anstelle dessen entsteht ein ungesundes "Ego".

Natürlich gelingt all das am leichtesten, wenn es von Anfang an Teil der Familienkultur ist. Es steht den Eltern aber frei, eine unangemessene Kultur zu korrigieren. Dabei sollten sie keinen großen Applaus von ihren Kindern erwarten, obwohl sich dieser einstellen wird. Spätestens dann nämlich, wenn die Kinder selbst Eltern werden. (Jesper Juul, 25.9.2016)

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