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Donnerstag, 19 Juli 2018

Kolumne: Macht Freizeitprogramm Kinder sozial kompetent?

Bei organisierten Freizeitaktivitäten gilt das Prinzip "weniger ist mehr" – sofern eine gute und wertschätzende Beziehung in der Familie besteht

Frage:

Wir fühlen uns als Eltern einem gewissen Druck ausgesetzt, weil wir von allen Seiten hören, wie wichtig Sport für die sozialen Fähigkeiten sei und dass unsere Kinder bei diesen organisierten Aktivitäten mitmachen sollten. Wenn wir unsere Meinung äußern, dass wir das für unsere Kinder vorerst nicht wollen, verdrehen die anderen Eltern oft als Antwort die Augen.

Wenn wir die Kinder nach der Arbeit vom Kindergarten abholen, verbringen wir viel lieber Zeit mit ihnen. Wir sind auch viel draußen unterwegs und aktiv. Die Kinder sind vom Tag müde und wollen entspannen. Unsere Buben (drei und vier Jahre alt) sind kräftig, gesund und fit genug für lange Spaziergänge in der Natur. Oft bleiben vom Kindergartenende bis zur Schlafenszeit nur drei Stunden. Es wird uns vorgeworfen, dass wir unsere Kinder zu sehr verwöhnen, weil wir so viel mit ihnen zusammen sind und sie einfach spielen lassen und sie dadurch angeblich nicht zu unabhängigen Menschen werden.

Wir nehmen unsere Kinder als sozial gut eingebunden wahr. Sie haben gute Freunde im Kindergarten und oft Besuch von anderen Kinden. Unsere Buben können gut alleine spielen und wir finden, dass sie sowohl miteinander als auch mit uns gut auskommen. Als Eltern macht es uns Spaß mit ihnen. Sie sind gut gelaunt, bereit zu lernen und Neues zu entdecken. Wir sind davon überzeugt, dass wir als Eltern sowohl Unabhängigkeit als auch soziale Fähigkeiten stärken können.

Nehmen wir den Kindern wirklich die Möglichkeit, Fähigkeiten zu entwickeln, die sie später brauchen, wenn wir ihnen diese organisierten Aktivitäten vorenthalten? Wir möchten uns auf unsere eigene Entscheidung verlassen, nur bekommen wir wenig Zuspruch und sind die Diskussionen mittlerweile leid. Deshalb unsere Frage: Wie wichtig sind organisierte sportliche Aktivitäten für Kinder zwischen drei und fünf Jahren tatsächlich?

Antwort:

In den letzten Jahren wurden die Warnungen von Ärztinnen und Ärzten immer lauter, dass sich manche Kinder in ihren motorischen Fähigkeiten weniger gut entwickeln und zur Fettleibigkeit neigen, wenn sie keinen Sport betreiben. Die kurze Antwort auf Ihre Frage ist, dass sich diese Kampagnen an Eltern richten, die mit ihren Kindern nichts unternehmen. Deshalb ist es weise, sich von anderen Menschen, die nach einer allgemein gültigen Wahrheit suchen, nicht irritieren zu lassen.

Dass sich Ihre Kinder, so wie Sie Ihre Aktivitäten beschreiben, sozial schlechter entwickeln, ist vollkommener Blödsinn. Diese Ansicht entbehrt jeder Grundlage. Vielmehr entsteht sie aus der Vorliebe vieler Menschen für allgemeine Wahrheiten und ihrem Bedürfnis, zu glauben, dass das, was sie selbst glauben und tun, richtig und besser als alles andere ist. Man könnte vielleicht argumentieren, dass das so ist, weil das menschliche Gehirn dazu neigt, in Gegensätzen zu denken. Oder weil die Menschen sich mit Konformität sicherer fühlen und die Tendenz zeigen, vieles übermäßig zu dramatisieren.

Dieser Trend ist jedenfalls besonders unangenehm für jene Menschen, die aus vielerlei Gründen keine Lust auf den Mainstream haben und die den "Segen" eines Kindergartens hinterfragen. In Schweden werden Eltern, die sich dem Mainstream entziehen, von anderen Eltern, PädagogInnen und Politikern gemobbt. Ähnliches kann man in Deutschland, Österreich und der Schweiz beobachten, wo die Wogen hochgehen bei Debatten darüber, wie die Betreuung in Vorschulen aussehen soll. Die "Kampflinie" ist strikt vorgegeben und beide Seiten sind unbarmherzig in ihrer Kritik und dem gegenseitigen Misstrauen.

Es lassen sich derzeit zwei verschiedene Trends ausmachen, die in Ihre Frage hineinspielen: Ein Teil der Eltern verhält sich ihren Kindern gegenüber auf Basis eigener Erfahrungen mit sich selbst und mit anderen Menschen. Der andere Teil befürchtet, dass die Zukunft der Kinder womöglich belastend wird – und zwar durch überambitionierte Eltern, deren Kindern in übermäßig viele Freizeitaktivitäten gedrängt werden.

Die Forderung nach mehr fokusiertem Lernen im Kindergarten ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine grundsätzlich gute Idee, wenn sie nuanciert und mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf die Individualität des Kindes angepasst wird, plötzlich außer Kontrolle geraten kann. In allzu kurzer Zeit wird die intellektuelle Leistung der Kinder zu einem neuen Ideal, sodass zwischen Eltern und anderen ein Wettbewerb ausbricht oder sich wirtschaftliche gegen pädagogische Anliegen durchsetzen.

Es ist nicht vernünftig, die Verantwortung für die Sorge um das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes den Insititutionen oder der öffentlichen Meinung zu überlassen. Es gibt keine bessere Grundlage für das Leben als die Kombination aus einem Kindergarten und Eltern, denen es Freude bereitet, mit den Kindern zu sein. Dass Kinder im Kindergarten automatisch soziale Fähigkeiten erlangen, ist ein großer Irrglaube. Die Wahrheit ist, dass sie bereits ein soziales Leben mit anderen Kindern haben.

In früheren Generationen spielten Kinder zuhause auf der Straße, im Garten und den Wäldern. Soziale Fähigkeiten umfassen eine Menge an Fertigkeiten und Erkenntnissen. Eine nachhaltige Wirkung ist nur dann gegeben, wenn sie auf einer soliden Basis von Selbstgefühl und Selbstvertrauen beruhren. Die Entwicklung eines gesunden Selbstwerts von Vorschulkindern hängt hauptsächlich davon ab, wie sie die Beziehung zu ihren Eltern empfinden. (Jesper Juul, 9.10.2016)

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