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Mittwoch, 18 Juli 2018

Kolumne: Der selbstzerstörerische erwachsene Sohn

Selbst wenn die Kinder erwachsen sind, können Eltern noch Vorbild sein – indem sie Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen

Frage:

Ich schreibe Ihnen, weil ich mir als Großmutter Sorgen um meinen Sohn und meine Enkelkinder mache. Mein Sohn kam mit 35 Jahren mit einer Frau zusammen, die zwei Söhne im Alter von 13 und 14 Jahren hat. Er wurde ihnen zum Vater.

Er selbst bekam als Kind viel Aufmerksamkeit von seinem Umfeld, insbesondere aufgrund seiner Atemwegserkrankung. In der Schule geriet er oftmals in schwierige Situationen, obwohl er grundsätzlich ein sehr geselliger, friedlicher Bursche war.

Mein Ex-Mann verließ uns nach 25 Jahren Ehe, als unser Sohn 19 Jahre alt war. Er war von Anfang an darum bemüht, ein viel besserer Vater zu sein als sein eigener. Er hat unseren Sohn sehr verwöhnt und umsorgt. Die beiden hatten und haben eine sehr starke Beziehung zueinander. Trotz dieser sehr engen Beziehung zu seinem Vater und einer guten Zeit des Heranwachsens fällt es meinem Sohn heute sehr schwer, sein Erwachsenensein zu bewältigen. Er absolvierte unzählige Kurse an der Universität, gründete Unternehmen, die mittlerweile bankrott sind. Er mag sich seinen Problemen einfach nicht stellen. Das führt so weit, dass er gepfändet wird, weil er wochenlang seine Post nicht öffnet.

Er kommt immer zu spät, und es fehlt ihm am Antrieb, Projekte zu Ende zu führen. Er klagt über Unruhe, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. So beeinflusst Angst und Hoffnungslosigkeit die Atmosphäre und den Familienalltag. Entsprechend sieht es im gemeinsamen Haus meines Sohnes und meiner Schwiegertochter aus.

Mein Sohn sagt über sich selbst, dass er sich als völlig inkompetent erlebt. Ich habe eher den Eindruck, dass er sich nicht der Verantwortung für sein eigenes Leben stellen will. Ich frage mich deshalb, ob er nicht will, oder ob er wirklich nicht kann. Vor allem aber frage ich mich: Was kann ich dazu beitragen, dass er sich den Konsequenzen seines Handels bewusst wird und nicht immer den Kopf in den Sand steckt, sondern beginnt, etwas zu verändern?

Liegt es vielleicht daran, dass er erwartet, dass er immer noch die ungeteilte Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge bekommt, die mein Ex-Mann ihm gegeben hat? Es ist sicher schwierig, ein so enges Band zu lockern und sich von seinem Vater zu lösen. Ich wünsche mir ein gemeinsames Aufarbeiten dieser Familiensituation, sodass mein Sohn endlich erwachsen wird und sich von uns, seinen Eltern, aber vor allem von seinem Vater löst. Aber wie kann ich ihm dabei helfen?

Antwort:

Eigentlich kann ich Ihre eigenen Theorien und Lösungen nur bekräftigen. Ihr Sohn ist ein gutes Bespiel für einen Vater oder eine Mutter, die sich nicht entscheiden können, wie sie selbst als Vater oder Mutter sein wollen. Ich habe den Eindruck, dass er an eine ideale Vaterfigur heranreichen möchte und diese nicht erreichen kann. Auch wenn sein eigener Vater zweifellos Qualitäten hatte, von denen Ihr Sohn durchaus profitierte, so ist die Rückseite der Medaille, dass er zu sehr umsorgt wurde und dadurch eine Art Hilflosigkeit entstanden ist.

Verantwortung als Unternehmer und die Bereitschaft, persönliche Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen, wirken sehr stark in vielen Familien. Es ist aber wichtig, nicht nur die Verantwortung für die Familie zu übernehmen, sondern auch für sich selbst. Für die eigenen Grenzen, Bedürfnisse und Werte. Ein Kind wird zum unschuldigen Opfer durch eine Überdosis an Fürsorge und "Service" seitens der Eltern. Was entsteht, ist eine Tragödie, die viel Schmerz verursacht.

Sie haben nun zwei Möglichkeiten: Kümmern Sie sich um Ihr eigenes Wohlergehen und Ihre Beziehung zu Ihrem Sohn, um einen konstruktiven Beitrag zu seinem Leben leisten zu können. Setzen Sie Ihre jetzigen Bestrebungen weiter fort, aber mit gutem Gewissen und ohne Frust. Die Botschaft, die Sie ihm dabei vermitteln, ist jene, wie wichtig es ist, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Bleiben Sie untätig, wird das weitere Folgen haben, die für Ihren Sohn wenig hilfreich sein werden.

Die andere Möglichkeit ist, dass der Vater Ihres Sohnes sich selbst ernst zu nehmen beginnt und damit seinem Sohn zeigt, wie man einen Ausweg aus der Hilflosigkeit findet. Dies kann zu einer liebevollen Konfrontation führen, bedeutet aber auch eine Revolution in der Beziehung zwischen Ihrem Ex-Mann und Ihrem Sohn. Eine Einladung zu dieser Veränderung könnte Ihr Ex-Mann in eigenen Worten etwa so formulieren: "Ich habe versucht, der beste Vater der Welt zu sein, aber nun sehe ich, wie Du und Deine Mutter darunter leiden. Ich fühle mich sehr verbunden mit Dir, aber ich selbst sehe keinen Ausweg aus dieser Situation. Deshalb möchte ich gemeinsam mit Dir professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Dazu brauche ich Deine Hilfe. Der erste Therapietermin ist am ... und hier ist die Adresse."

So gibt der Vater dem Sohn das beste Geschenk von allen: Er ist ein Beispiel dafür, wie wir neu lernen, mit selbstzerstörerischen Tendenzen umzugehen. Denn wenn Ihr Sohn weiterhin keine Verantwortung für sein Leben übernimmt, steht ein langes, unglückliches Szenario bevor, aus dem Ihr Sohn möglicherweise irgendwann als Täter hervorgeht. (Jesper Juul, 23.4.2017)

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