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Freitag, 05 Dezember 2014

Die Botox Kultur schadet dem Selbstgefühl der Kinder

Ich warte immer noch darauf, einen Arzt oder Therapeuten kennenzulernen, der den Mut aufbringt, einer 30-jährigen Mutter zu erzählen, in welch katastrophalem Maße sie das Selbstgefühl ihrer Kinder mit ihrer Jagd nach dem perfekten Leben beeinflusst. Kinder übernehmen dieses Besessen-Sein vom Sinnlosen. Schon als Fünfjährige sind viele von ihnen damit  beschäftigt, wie dick, dumm, hässlich und uncool sie sind, anstatt, wie fröhlich und geborgen sie sich fühlen.

Übersetzung aus dem Dänischen „Botoxkulturen ødelægger børns selvværd“ (information.dk)

Die in der Gesellschaft herrschende Konkurrenz bringt immer mehr Kinder und Jugendliche mit ernsthaften existenziellen und psychosozialen Problemen hervor. Aktuell spielen wir das Spiel: Wer ist schuld, und wer ist verantwortlich? „Eltern trauen sich nicht, zu erziehen“ lautet eine von mehreren Aussagen, die in der Luft hängen.

Ich stehe täglich mit Eltern aus fast allen europäischen Ländern in Kontakt. Dabei erlebe ich nicht, dass sie sich nicht trauen, zu erziehen. Oft fürchten sie sich davor, ihre Kinder zu kränken oder ihnen sonst wie Schaden zuzufügen. Es fällt ihnen schwer, zwischen verschiedenen Gefühlen, wie beispielsweise zwischen Trauer und Frustration, zu unterscheiden, genauso, wie ihnen ihre eigenen Gefühle fremd sind.

In erster Linie haben sie im Umgang mit den Kindern große Schwierigkeiten damit für sich selbst und ihr erwachsenes Leben Sorge zu tragen. Die Angst davor, den Kindern „Schaden zuzufügen“, hat in den letzten 15 Jahren die elterliche Führung am meisten beeinflusst. Das führte zu einem defensiven Führungsstil unter dem sich weder Kinder noch Erwachsene gut entfalten können.

Dass unsere Haltungen und Verhaltensweisen zwischen Extremen hin und her pendeln ist unglücklich, aber auch nichts Neues in der Geschichte der Menschheit. Wir kommen aus einigen Jahrhunderten, in denen Kindererziehung und Schulpädagogik sehr kränkend waren. Danach erlebten wir drei Jahrzehnte, in denen viele Erwachsene ein Dominieren und Indoktrinieren von Kindern panisch zu vermeiden versuchten.

Das entsprach dem Zeitgeist, war aber eher politisch fundiert als dass es auf psychologische und existenzielle Erkenntnisse baute. Es ist wenig verwunderlich, dass es vielen Kindern und Jugendlichen an Erfahrung fehlt, wie man sich zu Begrenzungen, Grenzen und Anforderungen verhält. Es ist zweifellos so. Doch den Eltern dafür die Schule zu geben würde voraussetzen, dass sie selbst erlebt hätten, sich für einen deutlichen Führungsstil oder eine entsprechende Erziehungsphilosophie entscheiden zu können. Allerdings sieht es so in den Köpfen der Eltern nicht aus.

DEN ERWACHSENEN GEHT ES AUCH NICHT GUT

Nicht Erziehung erzieht, sondern das innere und äußere Verhalten von Eltern und anderen bedeutsamen Erwachsenen. Lassen Sie mich dies an ein paar Beispielen illustrieren:

Seit mehr als einem Jahrzehnt leben wir in einer Botox Kultur, in der sogar intelligente und hochgebildete, erwachsene Menschen massenweise kostbare Zeit und Energie für narzisstische Versuche aufwenden, die "richtige" Oberfläche, das "ideale" Gewicht,  Muskeln der "richtigen" Größe an der richtigen Stelle etc. zu bekommen. Sie haben gelernt, ihr Tun damit zu begründen, dass es ihren "Selbstwert" stärkt, was ein sinnlos anmaßender Begriff ist. Es bedeutet etwa soviel wie soziales Selbstvertrauen, aufgebauscht um die chronische Angst und Unsicherheit abzumildern; die Angst, durchzufallen, und die  Angst, den Konkurrenzkampf um Lob, Aufmerksamkeit, Sex und das perfekte Leben zu verlieren.

Alles Äußerlichkeiten, für die es kein inneres Pendant gibt.

Den Erwachsenen geht es in der Konkurrenzgesellschaft auch nicht gut. Egal, wie viel sie trainieren und sich einen trendy Vollbart anlegen, fahren sie in ihrem Leben, ihrer Ehe und in ihrer Elternfunktion gegen die Wand, und nur die Wenigsten halten dem Tempo auf dem Arbeitsmarkt ohne ernsthafte Konsequenzen für ihre Gesundheit, die Lebensqualität und die Nationalökonomie stand. Es fehlt ihnen ganz entscheidend an einem inneren Kompass, den jene, die Glück haben, erst anfangen zu entwickeln, wenn sie an einem Burn-Out Syndrom leiden oder an Krebs erkranken.

BESESSEN VOM SINNLOSEN

Kinder übernehmen sehr früh diese Besessenheit von Sinnlosem. Schon als Fünfjährige sind viele Kinder damit beschäftigt, wie dick, dumm, hässlich und un-cool sie sind, anstatt fröhlich zu sein und sich geborgen zu fühlen. Wenn sich diese Empfindungen erst mal in der Seele eines Kindes festgesetzt haben, kann das niemand mehr aberziehen oder weg-pädagogisieren. Was bleibt ist ein fehlendes Selbstgefühl und ein negatives Selbstbild. Diese Kombination führt zu großem Leiden und selbstzerstörerischem Verhalten die gesamte Pubertät hindurch bis weit ins Erwachsenenleben hinein.

Ich warte immer noch darauf, einen Schönheitschirurgen, Hausarzt, Psychologen oder Therapeuten kennenzulernen, der das Wissen und den Mut hat einer 30- jährigen Mutter von zwei kleinen Kindern zu erzählen, in welch katastrophalem Maße sie deren Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen beeinflusst, wenn sie sich dafür entscheidet ein glattes Gesicht zu kaufen. Das gleiche gilt für den 40-jährigen Mann, der davon überzeugt ist, dass es einfacher für ihn ist, eine neue Frau zu finden, wenn es ihm gelingt so auszusehen wie der Mensch, der er sich zu sein wünscht.

Ja, aber, ist das nicht ihre eigene Sache? Doch, natürlich. Aber irgendwer muss sie darauf aufmerksam machen, welche Auswirkungen ihre Entscheidung auf ihre nächsten Mitmenschen und die gesamte Gesellschaft hat.

Sollen Kinder, Jugendliche und Erwachsene qualifizierte persönliche Entscheidungen treffen können, müssen sie sich klar werden über mögliche Konflikte zwischen dem, was die Umgebung/Autoritäten wünscht(en), und dem, was ihnen ihr eigener, innerer Kompass (ihr Selbstgefühl) erzählt. Nie zuvor ist der öffentliche Raum so voll von Slogans wie: "Wozu hast du denn selber Lust?", "Sei einfach nur Du Selbst!", "Was sagt dein Bauchgefühl?" gewesen.

Das Problem bei Kindern ist, dass sie keine wesentliche Weisheit, Lebenskompetenz und Selbstgefühl aufbauen, solange sie kein qualifiziertes, empathisches Zusammenspiel und keinen Widerstand von Eltern, Lehrern, Großeltern usw. erfahren.

Der Grund dafür, dass sie diese lebensnotwendigen Nährstoffe nicht bekommen besteht darin, dass ihre Erwachsenen oft selbst äußerlich gesteuerte "Pleaser" (angepasste Leisetreter und Karrieristen) sind, die wichtige Konflikte und ernsthafte Gefühle umgehen und vermeiden. Man kann sein Kind nicht dazu anregen, selbständig zu reflektieren und in sich rein zu fühlen, wenn man selber partout das gleiche tun und meinen muss, wie die beste Freundin oder der Coach.

DIE NOTWENDIGKEIT VON ERWACHSENER FÜHRUNG

Kinder sind so kompetent, wie sie schon immer gewesen sind, aber sie sind nicht allumfassend kompetent, und wissen es nicht immer selber oder besser. Darum brauchen sie dialogbasierende Führung von Erwachsenen, u.a. Eltern, die den Unterschied zwischen Lust und Bedürfnis erkennen und den den Mut haben, zentrale Werte zu vertreten. Dreh- und Angelpunkt dieser Werte ist die ewige Frage: "Wie kann ich für meine persönliche Integrität und wichtigsten Bedürfnisse eintreten, ohne die Grenzen anderer Menschen zu verletzen oder sie daran zu hindern, das zu bekommen, was sie brauchen?"

Einige Jahrhunderte lang haben moralische Prinzipien, Regeln und Verbote relativ gut als Regulatoren für das Verhalten von Kindern und Erwachsenen im öffentlichen Raum funktioniert. Ein gutes Leben war ein konformes Leben, dessen Qualität an der Fähigkeit, mit der Tapete eins zu werden gemessen wurde. Wir verfügen über keinen moralischen Konsens mehr, auch dort, wo wir ihn gerne hätten – in Schweden geht es beispielsweise den Menschen und ihren Kindern auch nicht besser.

Wir leben in einer Zeit, in der die äußeren Kompasse in alle Richtungen gleichzeitig weisen. Wenn wir gesündere Menschen und stärkere Gemeinschaften wollen, dann müssen wir uns bemühen, einen besseren inneren Kompass zu schaffen. Das ist ein steiler Weg, denn die meisten Machtmenschen haben große Angst vor dem innerlich gelenkten Mitmenschen oder verwechseln diese Anstrengung mit Egozentrik und Individualismus.

TOLL......SUPERTOLL

Es gibt Hinweise darauf, dass ein Teil der Eltern vor der Furcht, dass sie ihre Kinder verlieren werden, kapituliert haben. Nämlich oft dadurch, indem sie die ohnehin schon eskalierte Sprache noch mehr verstärken und damit den Kindern die Möglichkeiten zur Entwicklung eines gesunden Selbstgefühls völlig unterbinden: "Super!", "Richtig, richtig,richtig gut, mein Liebling!", "Supertoll, Superfantastisch!".

Das klingt am Ende alles wie Voice Junior (dänische Talent-Show für Kinder), wo das Lächeln der Kinder erstarrt, gleichzeitig mit dem Beitritt der Eltern und Geschwister im Fanklub. Nur eine kleine Minderheit von Kindern hat ein so gut entwickeltes Selbstgefühl, dass sie der ganze Lärm nicht stört. Aber das sind viel zu wenige.

Viele der „über-gelobten“ Kinder werden zu unsicheren, ängstlichen, nervösen Jugendlichen und Erwachsenen, die in jedem Kontext völlig unmögliche Anforderungen an sich selbst stellen, es sei denn, sie entwickeln stattdessen supertolle, asoziale Egos.

Sie sind nicht das Produkt von Eltern, denen der Mut fehlt, Anforderungen zu stellen, sondern von Eltern, die keine Ahnung davon haben, wie destruktiv ihr schrilles Lob und ihre schrille Bewunderung sind.

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